Gespräch mit der 101-jährigen Zeitzeugin Ingelene Rodewald
Hamburg 1942: Eine Studentin sieht eine alte Dame mit einem schweren Koffer die Straße entlanggehen. Wohlerzogen bietet sie der Frau Hilfe an und trägt den Koffer einige Zeit. Dann bedeutet jene anzuhalten: Hier würde sie abgeholt werden. "Wohin reisen Sie, gnädige Frau?", erkundigte sich die Studentin. "Nach Theresienstadt", war die Antwort. "Dann wünsch ich Ihnen gute Erholung", antworte die Studentin ohne Argwohn.
Es war die damals 19-jährige Ingelene Rodewald, die in diesem Jahr ihre erste Lehramtsprüfung in der Hansestadt ablegte. Von Theresienstadt wusste sie nur, was die Nazis der Bevölkerung damals weismachten: Es sei ein „Altersghetto“ für Prominente und alte Juden, wo es den Menschen unter ärztlicher Betreuung gut gehen solle. Diese Lüge hatte man neben dem Plan der Vernichtung aller europäischen Juden auf der berüchtigten Wannsee-Konferenz in Potsdam am 20. Januar 1942 beschlossen.
Kurz nach dieser Begegnung wurde Ingelene Rodewald im April 1942 in das von Nazi-Deutschland besetzte Polen abgeordnet, um im Warthegau Kinder deutscher Aussiedler zu unterrichten. Dort sah sie erstmals ein Lager mit gefangenen Juden. Was sie damals nicht wusste: Ihre Tante Helmy Spethmann, Krankenschwester und Tochter des Eckernförder Zeitungsverlegers Spethmann, war 1941 als Lazarettschwester nach Warschau beordert worden, wo sie auch polnische Juden unter schrecklichen Bedingungen im Warschauer Ghetto erleben musste.
Heimlich machte sie Fotos, die sie nie zeigte und auf ihrem Totenbett ihrer Nichte Ingelene vermachte. Die wiederum verfasste 2014 ein Buch mit den grausigen Bildern und übergab die Originale vor wenigen Tagen an Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, der sie in einem Festakt an das Polin-Museum in Warschau weiterreichte.
Am kommenden Sonnabend, den 27. Januar, jährt sich der internationale Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Die inzwischen 101-jährige Kielerin Ingelene Rodewald wird dann im Rahmen eines Gedenkabends um 19 Uhr im Flandernbunker von ihren Erlebnissen und aus ihren zahlreichen Büchern berichten und darüber diskutieren. Die Moderation hat Dr. Jens Rönnau, Leiter des Erinnerungsortes Flandernbunker.
Die Zusammenkunft auf dem Vorplatz des Flandernbunkers beginnt um 18 Uhr und geht um 19 Uhr im geheizten Veranstaltungsraum in die Begegnung mit der Zeitzeugin Ingelene Rodewald über. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.
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