Flandernbunker im künstlerischen Blick
Eröffnung Ausstellung von Schülerinnen und Schülern der Freien Kunstschule Kiel
Rede von Dr. Jens Rönnau
Diese Ausstellung passt bestens in unser laufendes Projekt zu diesem Ort: „Der Flandernbunker als historischer Ort“ im Rahmen von „Gemeinsam Kiel gestalten“. Es startete 2021 und endet jetzt im Dezember mit der Eröffnung dieser Ausstellung und dem folgenden Poetry-Workshop mit Björn Högsdal heute sowie einer anschließenden Plakataktion.
Im Oktober war eine Führung für die „Freie Kunstschule Kiel“ von Birthe Kleiter bei mir angefragt worden. Birthe Kleiter kenne ich seit Jahrzehnten, aus Zeiten schon, wo in ihrer Galerie Ductus der Beuys-Mitarbeiter Johannes Stüttgen mit einem Vortrag zu direkter Demokratie und der Freien internationalen Universität zu hören war. Ein Stück davon ist in der „Freien Kunstschule Kiel“ hängen geblieben, wo jungen Menschen ausführlich ein Jahr lang grundlegende Kunstmittel und Theorie vermittelt wird. Die aktuellen Schülerinnen und Schüler wollten zum Flandernbunker arbeiten. Daraus entwickelten wir dann die Idee eines Workshops und dieser Ausstellung heute.
Die Gruppe der Kunstschülerinnen und Kunstschüler hat sich sehr unterschiedlich auf diesen Ort eingelassen: Einerseits gibt es viele Arbeiten, die den Bunker als Objekt in den Blick nehmen, andere setzen sich mit den Inhalten, mit den Beiträgen unserer Ausstellungen hier auseinander.
Blicken wir hinter uns in die Wandnische neben dem Fahrstuhl, dann hängt da nur ein einziges Bild: Eine Kohlezeichnung, ein Bild der Kriegswirren, eine zerstörte Stadt, die Kiel sein könnte oder so viele andere zerstörte Städte des Zweiten Weltkriegs in Deutschland, in Europa und weiter noch – alles angezettelt von Hitler und Nazideutschland. Dieser Bunker hier ist ein Resultat der deutschen Aggression, weil sie selbstverständlich Gegenaggression heraufbeschwor. Also mussten sich auch die Deutschen schützen, vor den Konsequenzen dessen, was sie angerichtet hatten.
Kiel also in Trümmern. Rund 80 Prozent der Stadt zerstört, unbewohnbar, Endzeit in dieser Stadt. Genau das drückt diese Kohlezeichnung aus. Es ist ein Bild von Sarina Schmidt, von der es auch noch ein paar weitere Kohlezeichnungen hier gibt.
Auch Mariama Danso greift historische Fotografien aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf, die hier bei uns im Flandernbunker zu sehen sind: Die Häuserruinen im Umkreis der Holtenauer Straße etwa, wo allein der Bunker in der Jungmannstraße noch unversehrt scheint – das Foto dazu hängt im ersten Stock des Flandernbunkers. Oder sie zeichnet säuberlich eine der ausgestellten Waffen nach, die in unserer Ausstellung „Bomben und Traumata. Unheimliche Hinterlassenschaften des Krieges“ zu sehen sind.
Andere, wie Jessika Ehlers, wählen plastische Situationen der Ausstellungen an diesem Ort, etwa die Blindgänger-Bomben im ersten Stock oder Kanonengeschoss-Hülsen, eine einzelne Gewehrpatrone: Auch hier gibt es Kohlezeichnungen.
So arbeitet auch Leon Vögtle. Er zeichnet etwa einen Raumausschnitt, der diverse Blindgänger und Geschosshülsen zeigt – allerdings abstrahiert er die Raumsituation, lässt alles Beiwerk weg und zeigt nur jene Kriegssubstanz, teils koloriert.
Auch Ronja Dohm orientiert sich an ausgestellten Bildern und Objekten im Flandernbunker. Allerdings hat sie sich ganz speziell eingelassen auf die zunächst unscheinbaren Bereiche, auf Mauerecken und Betonausschnitte. Mit schwarzer Zeichenkohle und teils koloriert spürt sie den schrundigen Oberflächen des Bunkers nach, den Zeitspuren, die im verwitterten Material zu entdecken sind. Auch dem Außenbereich widmet sie Bilder.
In diesem Sinne hat sich auch Frerike Svea Nagels auf den Bunker eingelassen: Die Spuren der Geschichte und des Verfalls hat sie in Reliefbilder übertragen, deren Farbigkeit und Oberflächen sich der Struktur des Flandernbunkers annähert. Man meint, das Material greifen zu können. Sogar ein später verlegtes Stromkabel ist an einer Stelle einbezogen worden.
Vielfältig hat Izy Wagner hier zum Ort gearbeitet: Da gibt es ebenfalls teils sehr freie Arbeiten zu Spuren des Verfalls, rostige Oberflächen, Betonverwitterungen. Dann wieder hat sie es fertiggebracht, aus einer der ausgestellten Bomben in der Ausstellung ein Stillleben zu gestalten – betitelt mit Seriennummer und Sprengstoffbezeichnung, die das Munitionsräumkommando dieser britischen Fliegerbombe zugeordnet hatte. Schließlich hat Izy Wagner noch eine kleine Installation mit keramischen Köpfen hinterlassen, die geheimnisvoll in einem Eckbereich des Raumes zu entdecken sind.
Keramik ist auch das Hauptmaterial von Ruth Pick. Sie hat mit zwei kleinen Portraitköpfen die gegenüberliegende Ecke des Raumes betont: Auf glitzerndem Untergrund finden sich zwei ausdrucksstarke Charakterköpfe, die das Thema des Leidens aufgreifen. Man mag sich dabei an den berühmten „Schrei“ von Edvard Munch erinnern, an die Bilder von Leid und Elend, wie Käthe Kollwitz sie nach dem Ersten Weltkrieg schuf. Sie greifen die Einzelschicksale auf, um die es in der aktuellen Ausstellung oben im Flandernbunker geht.
Frederike Hauck schließlich hat den Bereich des Experimentellen noch weitergetrieben: Auf Verpackungsmüll – es sind alte Pizzakartons und Ähnliches – hat sie Schwarzweißfotos mit Situationen des Flandernbunkers gebracht, collageartig und in eigenwilligen Ausschnitten, etwa vom Treppenhaus, von ausgestellten Bomben. Menschen huschen hier und dort ins Bild – das Ganze mit Kohle weitergezeichnet, überzeichnet – eine wunderbare Mischung aus Realem und künstlerischer Weiterentwicklung.
Und dann ist da das Bild von Etienne Kirchhof - ein sehr erzählerisches Bild: Es zeigt einen über und über mit Orden geschmückten Admiral inmitten seines Büros im Flandernbunker – zumindest so, wie der Zeichner es sich in seinem bunten Bild vorstellt. Denn, so sagt er, sicher hatte der Admiral es sich in seinem Bunkerbüro auch etwas gemütlich gemacht. Auch dies ist ein wunderbares Beispiel, wie man sich der Geschichte dieses Ortes annähern kann.
Liebe Besucherinnen und Besucher: Eine Arbeit ist hier anonym ausgestellt. Sie ist vierteilig, schwarzer Karton mit Textfeldern, die überhängt sind mit fahnenartigen weißen Papieren, auf denen in roter Handschrift immer nur eines zu lesen ist: „CN: sexualisierte Gewalt“. Wenn man diese Deckblätter anhebt, ist über die vier Blätter ein fortlaufender Text zu lesen, der uns vom Erleben der Auseinandersetzung mit einem Beitrag der Ausstellung „Bomben und Traumata…“ berichtet. Es geht um Kriegsvergewaltigung, es geht um die Fassungslosigkeit zu diesen Verbrechen, die Soldaten seit Menschengedenken vor allem immer wieder den Frauen antun, aber auch Männern. Und es geht um ein Wiederentdecken eigener Betroffenheit, um das Aufbrechen eines Traumas, das ein Mensch in sich trägt, was als Retraumatisierung bezeichnet wird. Eigentlich, so können wir lesen, wollte die hier schreibende Person gar nicht zum Bunker arbeiten, nachdem sie auf diesen Ausstellungsbereich gestoßen war. Sie hat sich überwunden und uns diesen Text hinterlassen – und ich danke sehr für diesen Mut! Ich weiß aus Erfahrung mit alten Zeitzeuginnen des Zweiten Weltkriegs, dass sie eigentlich nie über erlebte Kriegsvergewaltigungen sprechen. Zweimal wurden mir Geschichten am Telefon berichtet – also im Schutz der optischen und räumliche Getrenntheit – und das war schon ein großer Schritt. Dabei ist es so wichtig, dass dieses Unrecht, diese Verbrechen, dass sie herausgeschrien werden!
Liebe Besucherinnen und Besucher, liebe Kunstschülerinnen und Kunstschüler, liebe Birthe Kleiter: Ich muss sagen: Diese Ausstellung, die kreativen Ideen zum Flandernbunker und auch die Umsetzung der Ausstellung als Werkstattprozess hat mich außerordentlich beeindruckt.
Ich habe aber noch eine Überraschung mitgebracht und packe sie hier jetzt aus: Es ist ein Aquarell vom Flandernbunker, 1960 von der jungen Linda Hamkens hier vor Ort gemalt, als sie nebenan an der Werkkunstschule zur Kindergärtnerin ausgebildet wurde. Damals befand sich diese Schule, aus der später die Muthesius-Kunsthochschule geworden ist, in den Kasernen der Marine. Das Militär war bekanntlich nach dem Ende der Zweiten Weltkriegs in Deutschland zunächst tabu und dann erst allmählich wieder aufgebaut worden. Das Aquarell zeigt eine Außenansicht mit jungen Pappeln vor dem Bunker, die wenige Jahre zuvor von Schülern der nahegelegenen Grund- und Hauptschule am Sonderburger Platz gepflanzt worden waren.
Im Oktober durfte ich anlässlich des 80. Geburtstags von Linda Hamkens eine Ausstellung ihrer bildnerischen und keramischen Werke in der Husumer Galerie Tobien eröffnen und sprach auch über dieses Bild. Am Ende der Rede trat Linda Hamkens hervor und schenkte mir das Bild für unseren Flandernbunker. Doch damit nicht genug: Nun bot die Galeristin Marid Taubert auch an, für das Bild kostenlos in ihrer Werkstatt einen passenden Rahmen anfertigen zu lassen. Es war ein bewegender Moment – auch für die Gäste dort. Und heute ist alles bei uns angekommen und wir danken herzlich dafür! Ich möchte vorschlagen, dass wir das Bild jetzt in diese Ausstellung integrieren, weil es wunderbar zusammenpasst – sofern die Kunstklasse nichts dagegen hat. (breite Zustimmung!)
Unser Projekt „Der Flandernbunker als historischer Ort“ hat mit dieser Ausstellung jedenfalls eine sehr angemessene Abrundung erhalten. Sie gesellt sich zu zahlreichen Führungen und Workshops mit Schulklassen, einem Seminar mit Studierenden des Historischen Seminars der CAU sowie zu einem Poetry-Workshop zum Flandernbunker als historischen Ort, den wir aktuell mit dem Poetry-Slammer Björn Högsdal durchführen.
Die besten Ergebnisse der Workshoptexte, aber auch besondere Aussagen von Zeitzeugen zu diesem Ort werden wir jetzt in einer Plakataktion Plakataktion hier im Stadtteil Wik veröffentlichen.
Und nun möchte ich herzlich einladen weiter bei unserem weihnachtlichen kulturellen Tag im Flandernbunker dabei zu sein: Beim Poetry-Workshop oder Postkartendrucken, beim Genießen von Punsch, Kaffee, Tee, Waffeln, Kuchen, beim Schauen und Diskutieren. Ich wünsche uns allen einen interessanten Tag hier im Flandernbunker und Ihnen und Euch ein friedliches Weihnachtsfest und ein besseres Jahr 2023!